Strategische Ziele und Maßnahmen und die Zukunft der pädiatrischen Intensivmedizin
Das Ziel
Zunächst bestand das Ziel darin, durch die Tsunami-Katastrophe geschädigten Kindern unmittelbare Hilfe zu leisten, Häuser ihrer Eltern aufbauen zu helfen, Kinderheime auszubauen, zerstörte Schulen zu unterstützen. Lions Clubs der Region Hannover sammelten 40.000 €, die SOLVAY GmbH verdoppelte die Summe.
Dieses allgemeine Ziel konkretisierte sich, als uns ein Hilferuf erreichte, die Baukosten für eine eingeschossige kleine Intensivstation für Kinder, mit einer Grundfläche von 220 qm, innerhalb des bestehenden Karapitiya Teaching Hospitals, in Galle, im Südwesten Sri Lankas, zu übernehmen. Nie wieder sollten so viele Kinder allein deshalb sterben mussten, weil es keine Intensivmedizin vor Ort gab.
Dies Projekt konnte mit den genannten Mitteln durchgeführt werden. Als der Bau fertig war stellte es sich heraus – bedingt durch den Bürgerkrieg - dass die lokal zugesagte Einrichtung, die Medizintechnik, nicht übernommen werden konnte. Man bat um Ausweitung unserer Hilfe.
Zur gleichen Zeit stellte sich das von der Stadt Hannover in Zusammenarbeit mit der SOLVAY GmbH geplante Hilfsprojekt im Norden Sri Lankas, mitten im Kampfgebiet, als undurchführbar heraus, sodass potenziell 340.000 € für den neuerlichen Hilferuf verfügbar waren.
Sorgfältige Planungsüberlegungen ergaben, dass maximal 7 medizintechnisch voll ausgerüstete Betten in der kleinen Paediatric Intensive Care Unit (PICU) Platz hätten, und dass ein Obergeschoss für die Einrichtung einer sog. Intermediate Care Unit ( IMC) nötig würde, für weiterhin intensive Dauerbetreuung bedürftiger kleiner Patienten mitschwerster Erkrankungen. Gar nicht zu sprechen vom mit Sicherheit notwendigen Trainingsaufwand des dort einzusetzenden Personals. Die Kalkulation ergab, dass die verfügbaren Mittel nicht ausreichten. Der Entscheidungsprozess zwischen Stadt Hannover, SOLVAY, der PICU der Medizinischer Hochschule Hannover und Lions fiel schließlich doch positiv aus, nämlich das Projekt zu durchzuführen, nicht zuletzt deshalb, weil man darauf setzte, über Sachmittelspenden und erweitertes Fundraising, den Fehlbetrag aufbringen zu können.
Das neue Ziel hieß nunmehr…
Aufbau und Entwicklung einer PICU im KTH Galle, sodass dort selbständig pädiatrische Intensivmedizin durchgeführt und durch das Gesundheitssystems des Landes aufrecht erhalten werden kann.
Der Weg zur Realisierung
Die Lions benannten Prof. Wolf Dieter Gogollzu ihrem Projekt-Verantwortlichen, die Sponsoren Hartmuth Schulz. In Sri Lanka übernahmen die Leiterin der Kinderklinik, Dr. Pushpa Punchihewa, und von den Lions, Nissanka Epaliyana, die gleichen Rollen.
Erfolgreicher Wandel – dieses Ziel zu erreichen fordert definitiv Wandel, besonders auf Seiten des Personals in Galle – braucht dauerhaft 5 Bausteine:
- Ohne spürbaren andauernden Veränderungsdruck, ohne“Burning Platform”, geht nichts.
- Es muss für alle Beteiligten, erkennbar, zustimmungsfähige Ziele geben.
- Es müssen machbare Schritte entschieden, geplant und angegangen werden; ihr Erreichen muss kontrolliert werden.
- Qualifikation und Kompetenzen für das Neue müssen vorhanden sein oder aufgebaut werden.
- Es müssen Anreize für alle Beteiligten vorhanden sein, und zwar subjektiv als solche wahrnehmbar.
Die Projektverantwortlichen versuchen streng darauf zu achten, dass die Bausteine erfolgreichen Wandels ausreichend vorhanden sind, was besonders deshalb nicht trivial ist, weil der Wandel sich in einer von Deutschland her gesehen fremden Verhaltens- und Arbeitskultur realisieren soll. Dazu dienen die regelmäßigen Treffen unter den Beteiligten, virtuell und real.
Welches sind denn nun die Erfolgstreiber?
- Die PICU’s der MHH und des Karapitiya Teaching Hospitals haben ein Patenschaftsabkommen geschlossen, dessen übergeordnetes Ziel es ist, übereinstimmend mit der o.g. Vision des Projekts, die PICU in Galle zum selbständigen Arbeiten zu begleiten. Die über dies Patenschaftsabkommen bereitgestellte fachliche Expertise für pädiatrische Intensivmedizin durch die Medizinischen Hochschule Hannover; und hier mehr noch, das persönliche Engagement des Teams, deren Mitglieder unzählige Urlaubstage und informellen Wandlungseinfluss beigesteuert haben, sind der essentielle inhaltliche Erfolgstreiber.
- Vereinbarte Leitideen für MHH Interventionen waren es – immer nur so viel Technologie aufzubauen, wie im Karapitiya Hospital bewältigt werden konnte und weiter - die Sri Lankischen Kollegen ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen, sie gemachte Fehler selbst reparieren zu lassen und für einen längeren Zeitraum nur auf Anfrage einzugreifen.
- Einsatz eines deutschsprachigen Delegierten des Lions Clubs Hikkaduwa, Nissanka Epaliyana, für die Bearbeitung aller lokalen Herausforderungen und die gemeinsame Strategieentwicklung mit den Beteiligten in Hannover. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die Prozesse der Mittelzuwendung und Verwendungskontrolle: Die Medizintechnik wird – nachdem sie zwischen den PICU’s Hannover und Galle abgestimmt ist - soweit es geht vor Ort beschafft. Das Beschaffungsmanagement liegt in den Händen von Nissanka Epaliyana – Bestellung der Produkte und Dienstleistungen, Übergabe an die PICU und Bezahlung an den Zulieferer. Mit Nissanka Epaliyana wird, überprüft vom LC Hikkaduwa, abgerechnet, sodass sichergestellt ist, dass das Geld dort ankommt, wo es ankommen soll. Schließlich sind wir stolz darauf, ein Ergebnis von nahezu 100% brutto für netto erreicht zu haben; mit anderen Worten – es wurde kein Geld verbrannt!
- Der Kompetenzzuwachs im spezifischen Gebiet der pädiatrischen Intensivmedizin, zum einen durch die vorhandene vorzügliche medizinische Grundbildung der Sri Lankischen Ärzte und Schwestern, bis jetzt stets in ausreichender Anzahl (mehr unter …Ergebnisse) und zum anderen durch die klugen Lehr-Interventionen der MHH vor Ort und in Hannover („Wir stellen nicht mehr bereit als wirklich selbständig in Galle bearbeitet werden kann!“).
- Vertrauensvorschuss durch das lokale Umfeld, wie etwa durch die Krankenhausleitung, lokale Politik, Landespolitik bis hin zum Gesundheitsminister persönlich, durch den Deutschen Botschafter, die Medizinische Fakultät der Ruhuna University, und last-but-not-least unterstützt durch Presse und Fernsehen.
- Starke Sponsoren im Hintergrund, die das Projekt aus Überzeugung dauerhaft unterstützen.
- Ein engagiertes und konsequentes Management-Team in Hannover (mehr….Wer steckt dahinter?)
Die nächsten Schritte
Wie man an den Ergebnissen sehen kann, haben wir offenbar bisher alles richtig gemacht. Dies unterstreicht das positive Feedback etwa des deutschen Botschafters in Sri Lanka und des Landes Koordinators des DRK, beide mit den Landesbedingungen bestens vertraut. Unser Projekt zeige aber auch - die PICU Ergebnisse seien für die Sri-Lanka- Tsunamifolge-Hilfen die absolute Ausnahme. Und die fachlichen Ergebnisse der PICU sprechen ohnehin für sich; dies wurde uns umso mehr klar, nachdem wir alle „führenden“ Kinderkrankenhäuser des Landes sehen durften.
Kürzerfristig
Nach dem neuerlichen Besuch der Delegation des Fördervereins PICU 2011 in Sri Lanka ist der weitere Weg klarer geworden:
- Intermediate Care Unit im Obergeschoss einrichten und in Betrieb nehmen: Mit drei Isolationsräumen mit separater Wasserver- und Abwasser-Entsorgung, Versorgungsleitungen für Strom (Notstrom), Sauerstoff und Druckluft, Luftkühlung, 9 Betten mit medizintechnischer Ausrüstung, Aufzug zwischen PICU und ICU.
- Gesichertes Sauerstoff-Flaschen Lager bauen
- Betten fünf und sechs beschaffen und in Betrieb nehmen und diverse weitere Geräte für PICU (z.B. mobiles Sonographie-Gerät)
- Ausbildung neueinzustellender Mitarbeiter, deren Integration und Training on-the-job. Weiterbildung des Personals durch die MHH: Erstrangiger Fokus ist Prozess-Qualität: Nächste größere Trainingsmaßnahme für 2012 notwendig. Vorsichtiger Start von Tele-Medizin zur Besprechung schwieriger Fälle, um Projektmanagement-Interventionen rechtzeitig zu erkennen. Um die Qualität der Beziehungen aufrecht zu erhalten und E-Learning zu etablieren.
- Das „Hygiene-Verbesserungsprogramm“ als Kernprozess einer PICU, von einem großzügigen deutschen Sponsor ermöglicht, ist ein Dauerthema. Es gibt hier aber Fortschritte: Desinfektionsmittelspender sind überall installiert, es ist genügend Desinfektionsmittel vorhanden, die systematische Nutzung macht Fortschritte. Der neue Facharzt für Kinderintensiv-medizin, Dr. Manjula, hat mit einem täglichen Training aller Ärzte und Schwestern in Hygienefragen begonnen, ein Staubsauger wurde beschafft, für alle wurden Textbücher zur Weiterbildung beschafft und PICU hat endlich einen nur für die PICU zuständigen Reinigungsdienst.
- Projekt-Management Review durch Nissanka Epaliyana vom Lions Club Hikkaduwa laufend vor Ort
- Einrichten einer Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Kinder intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Für die Eltern wäre ein Erfahrungsaustausch äußerst hilfreich. Die PICU-Leitung hat bereits die ersten Eltern eingeladen.
Längerfristig
Resümee aus dem Besuch der Fördervereins-Delegation, deren Hauptanliegen es war, die Sri Lankischen Entscheider zu treffen und sie noch mehr als bisher hinter - bzw. besser „vor“ - das Projekt zu bekommen.
Der Gesundheitsminister, S.E. Maithripala Sirisena, möchte erstens und wichtigstens…Die PICU in Galle soll zu einem „Leuchtturm“ für die Entwicklung der pädiatrischen Intensivmedizin in ganz Sri Lanka ausgebaut werden, sodass schließlich in jeder größeren Region eine ähnliche PICU zum neuen Behandlungsstandard für erkrankte Kinder wird. Natürlich wurden wir um Hilfe gebeten… Was immer das für die Zukunft bedeuten mag; jedenfalls ist der Weg bis zum Erreichen der Vision des Ministers noch weit. Und zunächst kann es nur um Prozessqualität und Kompetenzentwicklung gehen – und das sicher noch für längere Zeit.
Mittelbedarf und Fundraising:
Nach Einschätzung der PICU Leitung in Galle ist nicht damit zu rechnen, dass die Mittel der Regierung dieses „Entwicklungs- bzw. Schwellenlandes“ ausreichen, um sämtliche Erfordernisse einer modernen Gesundheitsversorgung abzudecken; insbesondere nicht alle Investitionskosten für eine adäquate Kinderintensivmedizin. Nach unserer Einschätzung liegt der Wert der von uns erbetenen Unterstützung für das beschriebene strategische Maßnahmenpaket bei ca. 250 T€. Die im November eingeworbenen Sachmittel halbieren diesen Betrag.
Das PICU-Team in Galle wirbt Mittel im bescheidenen Umfang ein. Beispiele: Spenden für die laufenden spezifischen Medikamentenkosten. Die pharmazeutische Industrie übernahm die erste Raumrenovierung der PICU nach 2 Jahren Betrieb und den Einbau einer Sicherheitsschleuse am Eingang der PICU. Dies aber reicht bei weitem nicht aus, um eine einigermaßen akzeptable Autonomie zu sichern. Es wird deshalb eines der wichtigsten Anliegen der Projektverantwortlichen für die nächste Zeit sein, die Sri Lankischen Entscheidungsträger zu mehr Eigeninvestition zu bewegen. Jedenfalls werden wir uns von einer „künstlichen Dauerbeatmung“ durch Sponsoren verabschieden!
Die an der Ursprungsinitiative beteiligten Lions Clubs der Region Hannover haben sich entschieden, auch diese jetzt geplante Fertigstellungsstufe des „Leuchtturm-Projekts PICU Galle“ finanziell nachhaltig so zu unterstützen, damit keine Investitionsruine entsteht und das Ziel einer selbständig betriebenen Intensivbehandlung in Galle möglich wird. Der Lions District NH 111 entschied, das PICU Projekt zu seinem dritten internationalen Gemeinschaftsprojekt zu machen und die internationale Stiftung der Lions, LCIF, hinzu zu ziehen.